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Referenteninterview: Dr. Anke Blume, Universität Twente
University of Twente

Dr. Anke Blume, Professorin für Elastomertechnik und Vorsitzende des ETE-Instituts an der Universität Twente, gibt uns einen Einblick in ein neues Konzept für Silica-Polymer-Kopplungen, das von Klettverschlüssen inspiriert ist. Ziel der Forschungsarbeiten ist es, die Abriebfestigkeit von Carbon Black mit der Nasstraktion von Silica-Silan-Verbindungen zu vereinen.

Erzählen Sie uns von Ihrem neuen Konzept für Silica-Polymer-Kopplung.

Die Idee zu diesem neuen Kopplungskonzept stammt aus der Natur. Die traditionelle Silica-Silan-Polymer-Kopplung hat eine Schwäche: Wenn die chemische Verbindung aufgrund externer Verformung bricht, kann sie nicht wiederhergestellt werden. Wir dachten über einen alternativen, wiederherstellbaren Kopplungsmechanismus nach, als wir in der Natur über unser aktuelles Konzept stolperten: Wie wäre es mit einem übermolekularen Haken- und Schlaufenverschluss, auf Makroebene vergleichbar mit einem Klettverschluss?

Die Hauptidee zu dem alternativen Kopplungssystem stammte von mir, aber die Vorschläge für die Ausformung des Hakens und die chemische Realisierung kamen von meinem Postdoktoranden Rafal Anyszka. Er ist von diesem Projekt ebenfalls begeistert und stellte einen Teil davon in Form eines Posters auf dem letzten Kautschuk-Herbst-Kolloquium in Hannover vor. Er gewann damit den dritten Platz im Wettbewerb um den besten Beitrag.

Die Klettverschluss-Idee stammt ursprünglich von George de Mestral, der 1941 auf einem Jagdausflug war. Er bemerkte, dass seine Hosen und das Fell seines irischen Pointers von Kletten überzogen waren. Andere hätten sie vielleicht verärgert abgebürstet, doch de Mestral beschloss, die Kletten unter einem Mikroskop zu studieren. Er fand Tausende winziger Haken, die sich effizient an fast jeden Stoff (oder jedes Hundefell) haften können. De Mestral erkannte: Wenn er ein synthetisches Äquivalent entwickeln könnte, wäre das eine neue Befestigungsmethode – ein Mittelweg zwischen Knöpfen, Reißverschlüssen und Nähten. Er hatte die Idee, Haken, wie er sie an den Kletten gesehen hatte, mit einfachen Stoffschlaufen zu verbinden. Die winzigen Häkchen würden sich in den Schlaufen verfangen und alles Mögliche zusammenhalten.

Und genau dieses Konzept wollen wir uns zunutze machen. Die Herausforderung ist nun, diese Idee von der Makro- auf die molekulare Ebene zu übertragen.

Was wären die praktischen Vorteile für die Reifenleistung?

Natürlich ist es noch ein weiter Weg, bevor wir diese Idee in einem realen, serienreifen System umsetzen können. Wenn es uns jedoch gelingt, können wir die Vorteile der Carbon-Black-artigen Interaktion mit dem Polymer und die Vorteile des Silica-Silan-Systems miteinander kombinieren. (Wenn Carbon Black an einer Stelle den Kontakt verliert, kann es dank der schwachen Van-der-Waals-Wechselwirkungen an anderer Stelle direkt eine neue Verbindung eingehen.) Mit anderen Worten: Wir wollen ein System entwickeln, das sowohl von einer höheren Verstärkungswirkung als auch von besserer Abriebfestigkeit profitiert. Das Silica-Silan-System bietet im Vergleich zum Carbon-Black-System bessere Nasstraktion und besseren Rollwiderstand, leidet jedoch an geringerer Abriebfestigkeit. Das neue Kopplungssystem könnte diesen Nachteil überwinden.

Außerdem haben wir die Hoffnung, dass wir mit der Klettverschluss-ähnlichen Silica-Polymer-Verbindung einen echten Selbstheilungseffekt erzielen können: Wenn in der Elastomermischung ein lokaler Bruch entsteht, könnte die Fähigkeit, die Bindung wiederherzustellen, bis zu einem gewissen Grad ein direktes Versagen der Mischung verhindern.

Ein weiterer interessanter Aspekt ist die Recyclingfähigkeit der gesamten Elastomermischung. In unserer Gruppe haben wir bereits Möglichkeiten entwickelt, Laufflächenmischungen mit Carbon-Black-Füllung zu devulkanisieren. Hinter diesem Prozess steht die Idee, die Schwefelbrücken zwischen den Polymerketten selektiv zu spalten, ohne die Polymerkette selbst zu beschädigen. Eine solche devulkanisierte Mischung könnte in einer neuen Elastomermischung wiederverwendet werden. Dieser Prozess funktioniert recht gut in Carbon-Black-Mischungen, ist jedoch bei traditionellen Silica-Mischungen sehr schwierig, da die Silica-Silan-Polymer-Kopplung ebenfalls selektiv gespalten werden muss. Das ist mit der heutigen Technologie eine große Herausforderung. Eine Klettverschluss-ähnliche Silica-Polymer-Kopplung, die nur physikalische Wechselwirkungen umfasst, könnte dieses Problem lösen, sodass eine deutlich bessere Recyclingfähigkeit zu erwarten wäre.

Was waren die größten Herausforderungen und wie wurden sie überwunden?

Wir haben die Modifizierung durch Ausformung eines Hakens auf der Silica-Oberfläche eingeleitet. Dieser Schritt wurde erfolgreich umgesetzt. Der Prozess erforderte vier Syntheseschritte, um den endgültigen Haken zu erzeugen, was natürlich für eine weitere Hochskalierung zu kompliziert ist. Doch die Modifikation dient als erster Machbarkeitsnachweis. Wir erwarten, dass dieser „Haken“ auf der Silica-Oberfläche bereits zu einem viel höheren Grad an Verflechtung mit den Polymerketten führen wird.

Was kommt als Nächstes für dieses Forschungsprojekt?

Der nächste Schritt ist die Produktion einer größeren Menge an modifiziertem Silica, um weitere Tests im Kautschuk vorzunehmen. Auf das Ergebnis sind wir sehr gespannt. Anschließend werden wir die Modifizierung des Polymers vornehmen. Wie können wir „Schlaufen“ entlang der Polymerkette formen, um letztendlich einen übermolekularen Haken-und-Schlaufen-Verschluss zu entwickeln? Wir haben bereits einige gute Ideen, um dieses Problem zu lösen.

Es gibt viele weitere Möglichkeiten für die Realisierung eines solchen „Klettverschlusses“. Wir stehen ganz am Anfang dieser Forschung und sind mit Begeisterung bei der Sache. Glücklicherweise haben wir bereits mehrere interessierte Industriepartner, die das Projekt unterstützen.

Dr. Anke Blume wird auf der Tire Technology Expo Conference einen Vortrag mit dem Titel Ein neues Konzept für eine alternative Silica/Polymer-Kopplung halten. Klicken Sie hier, um Ihren Teilnehmerausweis zu buchen.

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